Festmist

Kapitel 5

Urlaub vom Sein

Mit reichlich Käse, Brot und Holgis heftiges Hefebier ausgestattet, machte sich Atze Schuppenbauer auf den Weg. Das Leben war wunderbar. Man brauchte nur bei einem großen Glas Bier in der Schenke zu sitzen und den Güllianern zuzuhören, wenn sie die Welt erklärten. Diese Geschichten und ein einigermaßen intaktes Gehirn genügten, um beim Güllenden Kaiser Eindruck zu schinden. König Schlomi hatte viele Namen. König Solmon, König Kurti, König Alf und sogar Der Gute Bart. Es war ein Phantasiegebilde, was bei Güllianern erstaunlich genug war. Eine Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Güte, fernab von Gier, Neid und Unterdrückung. Jedenfalls hatte diese Phantasie immer einen langen weißen Bart und gütige Augen und eine Aura, die kein Güllianer beschreiben konnte. Schuppenbauer versank immer tiefer in seinen Gedanken. Er betrat eine surreale Welt. Hinter jeder Wegbiegung, an jedem Baum und auf jedem Felsen saß oder stand eine Frau. Nicht immer die selbe, aber immer die gleiche. Jedesmal, wenn er versuchte eine der Frauen anzusprechen, verspürte er ein nicht unbedingt sanftes Kratzen auf der Hüfte, die Frau schwand mit einem leisen ‚Plufff’ und hinterließ einen merkwürdigen Geruch. Je mehr Frauen er anzusprechen versuchte, fragte er sich, warum sie sich alle glichen, obwohl es rothaarige oder blonde Frauen waren, die dick, dünn, muskulös oder mit Cellulitis  gesegnet waren. Plötzlich blieb er unvermittelt stehen, als wäre er zum zweitenmal an diesem Tag gegen eine Tür gerannt. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf – Mutter! – und er fragte sich, ob das der Grund für seine  sexuellen Phantasien war? Kaum hatte er an seine Frau Mama gedacht, machte es rings um ihn herum ‚Plufff’ ‚Plufff’‚Plufff’ und alle Frauen waren verschwunden. Lediglich das Kratzen auf der Hüfte und dieser merkwürdige Geruch waren noch da. Der Nebel der Phantasie hob sich langsam und die Erinnerung an seine Mutter verblaßte glücklicherweise ebenso.
Als er schließlich komplett in die Realität zurückgekehrt war, spürte er ein hektisches Zupfen in seiner Manteltasche und wurde einer Odeur gewahr, daß er nicht vermißt hatte. Heino hatte Hunger!
Als der Philosoph am Hofe des Güllenden Kaisers flüchten wollte, hatte er nach dem Zusammenprall mit der Tür den kleinen Nager gegriffen und in seine Manteltasche gesteckt. Heino, wie jede Furzmulle, schlief in der dunkeln Umgebung sofort ein und schlief durch, bis sein Magen genug nach Futter gerufen hatte.
Atze Schuppenbauer konnte sich nicht daran erinnern, wie lange er mit all den Damen umhergewandert war, jedoch tauchte die Abendsonne gerade die Landschaft in sanftes eigentliches Rot beziehungsweise in ein tatsächliches Olivorange, da der Güllenebel die Farben arg verzerrte. Er mußte durch Rindswahn und Busenbüttel gekommen sein, obwohl er es nicht realisiert hatte. Er erinnerte sich gerne an Rindswahn. Dort ging er zur Schule. Seine Schulzeit an der Pestalotti Schule [1] war die schönste Zeit seines Lebens, abgesehen von den Spielchen, die er mit dem Güllenden Kaiser trieb. Heinos Hunger und seine gärende Verdauung ließen jedoch keinen Aufschub zu. Würde er noch lange warten, hätten Heinos Verdauungsgase eine überaus betäubende Wirkung. Und besondere Lust verspürte der Philosoph nicht, schon wieder den Plufff-Damen zu begegnen.
Kurz hinter Kotzenkaten, einem kleinen Kirchflecken mit vierundsechzig Einwohnern und etwa zweihundert Gülleanhängern, tauchte der Jauchsee vor ihm auf. Atze Schuppenbauer ließ sich am Ufer nieder, holte Käse, Brot und Holgis Heftiges Hefebier aus seinem Proviantbeutel und Heino aus der Manteltasche. Das Wasser des Sees plätscherte leise am Ufer und ein leicht gelber Nebel stieg zu dieser frühen Abendstunde aus dem Wasser auf. Heino grunzte vergnügt und knatterte erwartungsvoll, als sein neues Herrchen Brot und Käse aufschnitt.
Herrchen und Furzmulle aßen Käsestullen und tranken Holgis Heftiges Hefebier. Es war ein Bild der Ruhe und des Friedens. Genüßlich kauend saßen sie am Wegesrand und blickten über den stillen, leicht gelblich fluoreszierenden See. Nach einem Weilchen nicken beide satt und zufrieden ein.
Atze Schuppenbauer träumte vom Gülligen Gott. Das war für einen Güllianer keine Besonderheit, für ihn jedoch schon. Als überzeugter Atheist und vor allen Dingen als Philosoph, der der Überzeugung war, daß die Welt nur existierte, da sie gedacht wurde. Wenn er die Welt nur dachte, dann waren Heino und sein Gestank nicht real und der Güllige Gott auch nicht. Als er gerade dabei war, darüber nachzudenken, ob er selber auch nur gedacht war und alles, was er dachte die Gedanken eines andere waren, der vielleicht ebenfalls nur gedacht war, erschien eine Lichtgestalt.
Plötzlich tauchte ein überirdisches Wesen, umgeben von einem Lichterkranz direkt vor ihm auf. Ein tiefes Brummen und eine Aura aus leuchtendem Duft umgaben das Wesen. Atze Schuppenbauer blickte erstaunt auf.
„Das kann nicht sein. Du bist nur ein Gedanke. Wie kannst Du hier sein?“ Er murmelte die Worte immer wieder vor sich hin. „Die Realität ist ein Gedanke. Ich brauche nur nicht an Dich zu denken und Du bist weg. Wieso verschwindest Du nicht?“ Das konnte nicht sein. Selbst bei Frauen gelang dies hervorragend. Außer bei Martha, aber das war eine andere Sache. Und wehe, dieser Gott fing von Martha an. Das Brummen wurde immer lauter.
In seinem Traum sah er, wie Heino in seiner Jackentasche Schutz suchte und wie das Licht immer näher kam. Er hörte, wie die Lichtgestalt etwas sagte, aber er konnte sie nicht verstehen. Sosehr er sich bemühte, das Brummen überdeckte das Gesprochene. Der Philosoph hielt sich die Hände vor die Augen und sank auf die Knie.
„Vergib mir Gülliger Gott, daß ich an Dir gezweifelt habe“ Fast weinerlich klang nun seine Stimme und seine Demutsbekundungen wurden immer unterwürfiger.
„Was labers’ du da für’n Scheiß du Depp. Mach dich vom Acker. Ich will mit mein Trecker hier lang.“ Dieser wimmernde Arsch ging Bauer Knötheinrich langsam auf den Sack. Immerhin hatte er noch drei Felder zu güllen und es war schon dunkel.

[1] Viele seiner Mitschüler hatten behauptet, die Schule sei nach der Küchenmagd Lotti benannt worden, der von Generationen von Schülern wegen ihrer Kochkünste die Pest an den Hals gewünscht wurde. Atze Schuppenbauer wußte es besser – wie eigentlich immer, weswegen er etwa so beliebt war wie Lotti – konnte sich seinen Mitschülern aber nie begreiflich machen. [zurück]